Adieu, Privatfernsehen: Was du uns gebracht und genommen hast

Adieu, Privatfernsehen: Was du uns gebracht und genommen hastVeränderungen der Sehgewohnheiten und der Gesellschaft durch das deutsche Privatfernsehen in der Vergangenheit sind ein spannendes Thema, während lineare Fernsehsender täglich Zuschauer an variantenreiche Streaming-Angebote verlieren. Trotz des wahrscheinlichen Untergangs der privaten TV-Programme hat die erste Alternative zu öffentlich-rechtlichen Kanälen beispielsweise mit der Kommerzialisierung des Sports dauerhaft Spuren hinterlassen. Weitere Folgen sind die Entstehung der Pay-TV-Anbieter, gesunkenes Interesse für Politik und ein moderneres Familienbild.

Einfluss auf Kommerzialisierung des Sports durch Privatfernsehen

Fachartikel beschäftigen sich umfassend damit, wie die Entwicklung des Privatfernsehens die Kommerzialisierung des Sports vor allem im Fußball beeinflusst hat. Zusammenhänge zwischen der Entstehung der privaten Fernsehsender und dem Anstieg der Gehälter in der deutschen Fußball-Bundesliga sind unumstritten. Wer sich mit dem Einfluss des Privatfernsehens auf die Gesellschaft beschäftigt und hierbei vorwiegend den Sport unter die Lupe nimmt, erkennt mit dem Beginn des Kampfs um Übertragungsrechte eine zentrale Ursache der Kommerzialisierung.

Bis zur Einführung der privaten Sender war es selbstverständlich, dass öffentlich-rechtliche Kanäle wichtige Zusammenfassungen zur Bundesliga und Pokalwettbewerben im Fußball zeigten. Medienunternehmer erkannten schnell die außergewöhnliche Popularität, mit der Fußballübertragungen hohe Einschaltquoten ermöglichten. Gebote für TV-Übertragungsrechte erreichten Summen, die im deutschen Profifußball zuvor unvorstellbar waren. 1992 sicherte sich der Privatsender SAT.1 die Erstverwertungsrechte für Zusammenfassungen zur Fußball-Bundesliga und beschleunigte die Kommerzialisierung des Fußballs damit nachhaltig. Wer Berichte zur Liga so früh wie möglich sehen wollte, durfte die neue Sendung ran im privaten Programm nicht verpassen.

Ursache für wirtschaftliche Unterschiede zwischen Sportarten

Ursache für wirtschaftliche Unterschiede zwischen SportartenDas Privatfernsehern hat den Sport verändert. Aber wie kam es dazu? Finanziell profitierten nicht alle Sportarten im selben Ausmaß vom Privatfernsehen. Das Wettbieten der privaten Sender im Kampf um die Übertragungsrechte bevorteilte populäre Wettbewerbe und ist eine zentrale Ursache dafür, dass die Gehaltsunterschiede zwischen unterschiedlichen Sportlern konstant gewachsen sind. Zu den großen Gewinnern zählten vor allem der Fußball und der Motorsport mit der Formel 1, die mit dem Aufstieg des Ausnahmesportlers Michael Schumacher bei Fernsehübertragungen für herausragende Einschaltquoten sorgte.

Vor dem Sendestart der privaten Programme konzentrierte sich die ARD mit der klassischen Sportschau auf eine nüchterne und sachliche Sportberichterstattung. Das Privatfernsehen verwandelte Sportsendungen stattdessen in Unterhaltungsformate. Berichte über Nebensächlichkeiten auf dem Trainingsplatz und beim Streit zwischen Sportlern erhielten viel Sendezeit. Darunter hat die allgemeine Anerkennung der sportlichen Leistungen in zahlreichen Sportarten gelitten. Eine Vorbereitung auf Interviews wurde für die Vermarktung eines Sportklubs teilweise ähnlich wichtig wie das Training vor den Wettbewerben.

Unfreiwillige Wegbereitung für die Pay-TV-Konkurrenz

Unfreiwillige Wegbereitung für die Pay-TV-KonkurrenzDer Start des Privatfernsehens war der Beginn einer Entwicklung, die mit dem Pay-TV als neue Konkurrenz und logische Folge endete. Mittlerweile bieten viele Privatsender zum Beispiel mit den eigenen HD-Programmen selbst Bezahlfernsehen an. Früh legten die privaten Programme durch die Veränderung der Sehgewohnheiten den Grundstein für den Erfolg der Pay-TV-Anbieter. Wegen der ständigen Werbeunterbrechungen haben Zuschauer häufiger das TV-Gerät vor dem Ende einer Übertragung abgeschaltet oder sind während des Abendprogramms eingeschlafen. Mit den Nachteilen der Werbung lieferten die privaten Fernsehprogramme unfreiwillig ein Argument für die Pay-TV-Konkurrenz.

Das Bezahlfernsehen gewann in der Anfangsphase zahlreiche Kunden, weil Spielfilme und andere Sendungen am Stück ohne Unterbrechung zu sehen waren. Obwohl der Pay-TV-Sender Premiere 1991 analog mit einem einzigen Programmplatz sein Angebot startete, wirkte dieser Vorteil auf viele Deutsche überzeugend. Darüber hinaus begingen die Betreiber des Privatfernsehens den Fehler, Premiere-Vertretern kampflos den Erstzugriff auf Übertragungsrechte zu überlassen. Ohne entscheidende Gegenwehr erarbeitete sich das Pay-TV den Ruf, bedeutende Kinofilme lange vor der Erstausstrahlung im Free-TV zu zeigen.

Zugleich verlor das Privatfernsehen regelmäßig den Kampf um Live-Übertragungsrechte für die Fußball-Bundesliga. Während DF1 und Premiere bei der Verbreitung des Bezahlfernsehens unzählige neue Programme starteten, konnten die privaten Fernsehsender nicht ansatzweise eine konkurrenzfähige Vielfalt anbieten. Als die Pay-TV-Konkurrenz sich unter dem Namen Premiere und später Sky die Übertragungsrechte für hunderte Spiele der deutschen Fußball-Bundesliga sowie Kinofilme aus allen denkbaren Genres sicherte, haben Privatsender wegen der Überforderung der technischen Kapazitäten nie mitgeboten. Das Privatfernsehen verursachte somit eine Entwicklung, durch die deutsche Bürger viele Programm-Highlights ausschließlich im Bezahlfernsehen finden. Im eigenen Programm zeigten die privaten Fernsehsender sogar Werbung für die Pay-TV-Angebote.

Uninformierte Bürger durch Unterhaltungsformate als Alternative zu Nachrichten

Uninformierte Bürger durch Unterhaltungsformate als Alternative zu NachrichtenDer Umgang der deutschen Gesellschaft mit Nachrichten aus der Welt veränderte sich durch die Entwicklung der erfolgsorientierten Privatprogramme. Als 1984 das Privatfernsehen in Deutschland erstmals auf Sendung ging, erhofften sich viele Politiker von neuen Nachrichtensendungen und Interview-Formaten Vorteile. Die schwarz-gelbe Bundesregierung glaubte damals mit dem Bundeskanzler Helmut Kohl daran, im privaten Fernsehprogramm in einem besseren Licht zu erscheinen. Weil Einschaltquoten das Programm bestimmten, blieben die Fernsehsender aber unabhängig und wollten in erster Linie ein großes Publikum aus allen Wählerschichten gewinnen.

Mit Polittalkshows präsentierte das Privatfernsehen ein neues Konzept und erhielt für die Qualität der Berichterstattung in den ersten Jahren überwiegend positive Rückmeldungen. Im Verlauf der Zeit konnten sich zahlreiche Sendungen mit einem Schwerpunkt auf Berichten zur deutschen Politik nicht auf ihren Sendeplätzen halten. Stattdessen entwickelten private Fernsehsender neue Nachrichtenmagazine, die vor allem über Prominente aus dem Showgeschäft und außergewöhnliche Vorfälle im alltäglichen Leben berichteten. In sogenannten Boulevardmagazinen spielten politische und wirtschaftliche Fragen selten eine Rolle.

Aus der Sicht von Kritikern blieb es problematisch, dass ein großer Teil der deutschen Gesellschaft wegen des fehlenden Bildungs- und Informationsauftrags im Privatfernsehen über wichtige Entscheidungen in der Politik sowie wegweisende Ereignisse nicht mehr regelmäßig informiert war. Durch die Verpflichtungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten gab es für die Bürger vor dem Sendebeginn der Privatprogramme keine vielseitigen Alternativen zu den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF. Mit dem Privatfernsehen entstand die Gelegenheit, stattdessen verschiedene Unterhaltungsformate zu genießen und auf politische Neuigkeiten zu verzichten. Somit waren weniger Bürger über Entscheidungen sowie Kontroversen in der deutschen Politik informiert und zeigten dafür geringeres Interesse.

Modernere Ansichten durch Tabubrüche im deutschen Privatfernsehen

Modernere Ansichten durch Tabubrüche im deutschen PrivatfernsehenIn Deutschland wurden in den 1970er-Jahren mit der bevorstehenden Einführung des Privatfernsehens Ängste vor Veränderungen verbunden, die nicht unbegründet waren. Obwohl der Wandel der Gesellschaft durch das private Fernsehprogramm damals für viele Menschen als Horrorszenario galt, sind diese Entwicklungen mittlerweile zu einem großen Teil in ein positives Licht gerückt. Besonders groß war die Furcht vor nackter Haut und „unmoralischen“ Szenen. Damals lehnten viele Deutsche kleine Abweichungen vom typischen Familienbild und religiösen Vorstellungen strikt ab. Das Privatfernsehen ermöglichte in dieser Hinsicht Veränderungen, die ein Großteil der heutigen Bevölkerung für unverzichtbar hält.

Vor der Einführung der privaten Programme waren manche Spielfilme aus dem Ausland auf öffentlich-rechtlichen Kanälen nur mit einer geschnittenen Fassung zu sehen. Andere Filme hatten hingegen keine Chance auf eine Ausstrahlung, weil der Inhalt zu kontrovers erschien. Szenen mit nackter Haut, bestimmte Gewaltdarstellungen und ein umstrittener Umgang mit der christlichen Religion waren beispielsweise regelmäßig ein Ausschlusskriterium. Die Privatsender veröffentlichten stattdessen bereits in der Anfangsphase Inhalte, die ein öffentlich-rechtlicher Kanal niemals ausgestrahlt hätte.

Aus der Sicht von zahlreichen Beobachtern ist dem Privatfernsehen eine Öffnung der Gesellschaft für Abweichungen vom klassischen Familienbild und alten Moralvorstellungen zu verdanken. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen war es lange eine Selbstverständlichkeit, dass in Filmproduktionen im Normalfall verheiratete Familien mit Kindern positiv hervorgehoben werden. Geschiedene Hauptcharaktere genügten, um eine kontroverse Diskussion zu verursachen.

Das Privatfernsehen entschied sich schon in den 1990er-Jahren bewusst für die Übertragung von Filmproduktionen, die nicht nur das damals typische Familienbild zeigten. Scheidungen und ähnliche Themen waren kein Tabu. Darüber hinaus betrafen die Tabubrüche im privaten TV-Programm homosexuelle Filmfiguren. Im Verlauf der Zeit bot das Privatfernsehen zugleich deutschen Prominenten eine Plattform, um offen über ihre Sexualität zu reden. Die Privatsender trugen somit entscheidend zur Akzeptanz von unterschiedlichen sexuellen Orientierungen bei. Ohne das Privatfernsehen wäre die Toleranz gegenüber unterschiedlichen Minderheiten und einer kulturellen Vielfalt in Deutschland möglicherweise langsamer gewachsen.

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